In welcher Welt leben wir?
Es ist Februar und entgegen meiner Gewohnheit, entschließe ich mich am Sonntag nicht im
Wald mein Nordic Walking zu absolvieren, sondern nach Saarbrücken in den Deutsch-Französischen-
Garten (DFG) zu fahren um dort meine Runden zu drehen. Diel etzten Tage waren sehr stürmisch
und der Wetterbericht warnt vor brechenden Ästen und umstürzenden Bäumen. Auch dieses Mal ist
das Saarland im Hinblick auf die vielen Unwetterwarnungen mit einem blauen Auge davon gekommen.
Ich starte normalerweise eher früh am Morgen, heute bin ich schon spät an und deshalb auch etwas
nervös. Ich walke normalerweise eine längereStrecke und im DFG muss ich dazu mehrere Runden
laufen. Ich bin früher dort öfter gelaufen, war aber schon einige Zeit nicht mehr dort. Das Wetter ist
trüb,aber es regnet noch nicht. Ich starte gemütlich und frage mich ob ich die alte Strecke noch
kenne. Nach wenigen Minuten kommt mir der erste Jogger entgegen.Wenn ich im Wald laufe grüßt
man sich, in Saarbrücken ist das anders. Die Atmosphäreist eher anonym. Ich laufe etwas weiter und
hörte wie ein Mann ruft. Er scheint sehr verzweifelt zu sein. Ich laufe etwas schneller und kann schon
aus der Ferne sehen, dass eine zweite Person am Boden liegt. Ich brauche einen Moment,bis ich die
Situation erfasse. Der Mann kümmert sich um seinen Bruder, der zusammengebrochen ist. Er bittet
mich um Hilfe. Ich bin zunächst so verwirrt, dass mir noch nicht einmal mehr die Nummer des
Notrufs einfällt. Die Situation desMannes scheint sehr ernst zu sein. Ich rufe schließlich die 112. Es
dauertetwas bis sich jemand meldet. Ich gebe meinen Standort durch und versuche dieSituation zu
erklären. Wir diskutierendarüber welchen Eingang der Rettungswagen nehmen muss und wie er
den Patienten findet. Wir einigen uns darauf, dass ich zum Eingang zurücklaufe und den RTW
entsprechend einweise. Inzwischen ist ein weiterer Mann dazu gekommen gemeinsam versuchen die
beiden den Patienten am Leben zu erhalten. Er hat Schaum vor dem Mund und atmet kaum. Ich laufe
zum Eingang zurück und warte auf den Notarzt.Der kommt schließlich und wir stellen fest, dass das
Eingangstor zum Park versperrt ist, eine Zufahrt deshalb nicht möglich ist. Ich bin fassungslos. Der
RTW fährt weiter, er muss eine großen Umweg fahren um schließlich an den nächsten Eingang zu
kommen. Ich kann es nicht glauben, ist das wirklich möglich, dass eshier an der Zufahrtsmöglichkeit
scheitert. Ich laufe zu dem Patienten zurück.Inzwischen sind noch mehr Personen stehen geblieben
und versuchen zu helfen.Ich bin ratlos, der Zustand des Patienten ist sehr ernst, der Bruder ist total
verzweifelt. Ich versuche ihn zu beruhigen und laufe schließlich in die Richtungdes nächsten
Eingangs in der Hoffnung vielleicht unterwegs noch einen Arzt zufinden. Schließlich kommt der
Rettungswagenund gemeinsamen mit einer anderen Passantin leiten wir ihn zu dem Patienten.Die
Lage ist sehr erst, das Team tut sein möglichstes und behandelt den Mann noch an Ort und Stelle. Sein
Zustand ist sehr kritisch und sein Bruder verzweifelt immer mehr. Die Flucht aus Syrien haben sie
überstanden und nun das. Er hat zwei Kinder und ist er 40 Jahre alt. Der Rettungswagen bringt ihn
schließlich ins Krankenhaus. Wie die Geschichte weitergeht weiß ich nicht, aber ich hoffe, dass es ein
Happy End gibt.
Was habe ich gelernt aus dieser Geschichte? Es gibt vieleMenschen, die anpacken und ohne
nachzufragen helfen. Es gibt aber auch viele,die sich nicht angesprochen fühlen und nur gaffen statt
zu helfen. Eine Hundebesitzerin hat den ganzen Vorfall mit ihrem Handy gefilmt. Es gibt anscheinend
keine Schamgrenzemehr. Die Leute sind weiter spaziert um den Notarzt herum gelaufen und haben
interessiert zugeschaut, was es denn da zu sehen gibt. Für mich ist es nach wievor unfassbar, wie
ich mich am Leid und Elend der anderen ergötzen kann. Die Passanten, die geholfen haben, haben
sich nicht gekannt und werden sich wohl auch nicht wiedersehen. Es hat mich trotzdem sehr
getröstet, dass es auch diese Menschen gibt, die helfen ohne zu fragen.Ich hadere noch immer mit
einem verschlossenen Tor, das die Hilfe erst so spät zu dem Mann gebracht hat.Ich bin aber auch
dankbar, dass es mir selbst doch so gut geht, obwohl ich aktuell mit meinen Lebenssituation hadere.
Aber im Angesicht des Todes wird alles andere nebensächlich.