Die Berkediebe weinen
In einer amerikanischen Serie stirbt ein Schwarzer Jazzmusiker. Offensichtlich hat er nicht immer alles richtig gemacht im Leben, denn der Engel, der ihn abholt, erklärt ihm, dass er nicht in den Himmel, sondern in die Hölle muss.
Als er die Hölle betritt, wundert er sich nicht schlecht. Seine Hölle ist ein Western-Saloon, voll mit Weißen Cowboys, die Tag ein Tag aus Country-Musik hören. So hat jeder seine ganz private Hölle. Das Konzept gefällt mir.
Meine Frau kommt aus einer Faschingshochburg im Odenwald. Der Ort hat 2.000 Einwohner, der Faschingsverein 2.000 Mitglieder im Alter von einem Monat bis 97 Jahre. Von Weiberfasching bis Aschermittwoch sind gefühlt 200.000 Menschen in den Straßen unterwegs.
Das war immer meine Hölle. Wenn ich mal sterbe und in die Hölle muss, muss ich mir einen nie endenden Faschingsumzug ansehen. Irgendwann stehen mir die Bonbons bis zum Hals. Komplett zugeworfen.
Das traditionelle Kostüm des Ortes ist der Berkedieb. Eine graue Hose mit grünem Hemd, rotem Halstuch, roter Mütze und roten Strümpfen. Angeblich haben die Ortsbewohner früher in den Wäldern der Nachbargemeinden Holz gestohlen. Sie haben ganze Birken geklaut. Weil sie sich dabei sehr geschickt angestellt haben, sind sie noch heute stolz darauf.
Im Nachbarort trägt man Huddelbätz. Das Kostüm besteht aus lauter bunten Filzstreifen und Schellen. Es gibt den Gänsemarsch, einen Fußgängerumzug, bei der die Huddelbätze hüpfen. Tausende von Schellen schallen in meinen Ohren.
Abends treffen wir Franky in einem Ort fünf Kilometer entfernt, in einer Bar. “Du hast aber einen schönen Huddelbätz an”, lobe ich ihn. Franky verdreht die Augen. Bei ihm im Ort heißt das doch Klohn. Auf dem zweiten Blick ist sein Klohn zwar genau so bunt wie der Huddelbätz, sieht aber wirklich ganz anders aus. Eher wie ein Harlekin. Ich habe mich endgültig als Faschingsmuffel geoutet.
Überall werden immer wieder die gleichen Reime gesungen. Stimmt einer an, singen alle automatisch mit.
“Hoorig, hoorig, hoorig is de Katz, unn wenn de Katz net hoorig is, dann is es och ka Katz…”
Samstags ruht sich die Faschingsmeute beim Keipenkarneval aus. Es gibt keinen Umzug, keinen Ball, keine Büttenreden. Man zieht von Kneipe zu Kneipe. Darunter viele Krachkappellen. Das klingt nach Lärm, aber alle beherrschen ihre Instrumente. Eine dieser Kappellen reist jedes Jahr aus Eckernförde an. Sie haben immer Gläser mit eingelegten Heringen dabei und verteilen die “Fischköppe” kostenlos. Und Schnapps natürlich! Bier, Wein Schnapps… man fängt schon am frühen Abend an zu trinken. Oder war es später Nachmittag? Gut, dass es Alkohol gibt, denke ich. Die Hölle wird so erträglich. Kann man sich die Hölle schön saufen?
Mein Schwager hat eine Autowerkstatt. In den Wochen vor dem Umzug wird darin geschraubt und gehämmert. Sie haben einmal einen alten Golf rot angestrichen, dass Dach abgeflext, die Türen zugeschweißt und so wurde eine rote Ferrari-Imitation aus dem Wagen. Im Umzug haben sie dann die Szene nachgespielt, in der ein Ferrari-Mechaniker beim Boxen-Stopp den vierten Reifen gesucht hat. Wochenlange, hingebungsvolle Arbeit für diesen einen Witz! Im Umzug mussten sie die Szene hundertmal spielen. Die Besucher feuerten sie an, johlten, applaudierten und schrien “Schumi, Schumi”!
Nachdem das Klopapier in diesem Jahr knapp wurde, erstellen die Berkediebe ein Video. Darin werden Klopapierrollen akrobatisch von Berkedieb zu Berekedieb weiter gegeben. Sie jonglieren damit, tanzen wie die Funkenmarichen. Alle in ihren jeweiligen Kostümen. Die ganz Kleinen und die ganz alten sind dabei. Die einzelnen Teile sind zusammengeschnitten. Es wirkt so als werfe immer einer die Klopapierrollen zum nächsten.
Fasching wird allerorten abgesagt. Die Berkediebe weinen. Und ich kann auch keine Schadenfreude empfinden, dass es meine Hölle nächstes Jahr nicht geben wird.
Fasching beginnt am 11.11. Ich war selten dabei. Maximal zwei bis drei Tage zwischen Weiberfasching und Aschermittwoch. Drei Tage im Jahr hält man seine Hölle aus. Besonders mit so netten Teufelchen um einen herum.