Shopping-Tour

Shopping-Tour

In einer Hotel-Lobby sehe ich ein Mädchen mit einer Louis Vuitton Handtasche. Keine junge Frau, wirklich ein Mädchen. Sie ist etwa zwölf Jahre alt. Ihre Mutter unterhält sich gerade mit einem Hotelpagen. Man kann sich früh an Luxus gewöhnen.

In der Maslowschen Bedürfnispyramide finde ich keine Handtaschen. Dort stehen Dinge wie Sicherheitsbedürfnisse und Selbstverwirklichung.

“Therapie ist oft rausgeschmissenes Geld für Luxusprobleme”, sagt Till Lindemann.

Burnout, ein Luxusproblem.
Traumata des Erwachsenenwerdens, ein Luxusproblem.
Erinnerung an Flucht und Vertreibung, ein Luxusproblem.
Eine Ehekrise, ein Luxusproblem.

Wenn das die Luxusprobleme sind, dann ist die Therapie der eigentliche Luxus, oder nicht?
Sieh her, ich kann mir Badeschlappen von Hermès leisten, einen Anzug von Canali, eine Uhr von Maurice Lacroix, Schuhe von Heschung, das schnelle, große Auto aus Bayern, eine Reise nach Singapur in das Hotel mit dem Rooftop-Pool und eine Therapie!

In der Verhaltenstherapie fülle ich Karten aus. Ich schreibe darauf, wie ich mich verhalten möchte, wenn ich wütend werde. Wenn ich dann wütend werde, kann ich die Karten nehmen und das nachlesen. Das hilft mir, nicht wütend zu werden. Ich sehe mir die Karten nach der Therapie-Stunde noch einmal an und zerreiße sie.

In der Familien-Therapie hält das Psychologen-Doktoren-Paar einen Monolog. Oder ist das ein Duolog, wenn beide reden? Meine Frau und mein Sohn hören zu. Die beiden promovierten Psychologen sind sehr gebildet und reden gewandt. Es ist eine Freude ihnen zuzuhören. Sie erklären uns, dass wir mit uns selbst alles verhandeln müssen, weil wir nicht nur aus einem schlichten Ich bestehen. Beim Bäcker will das Es die süße Torte. Das Über-Ich ist für das gesunde Dinkel-Vollkorn-Brötchen und das Ich entscheidet sich schließlich für das Schwedenbrötchen. Das ist alles interessant zu hören und kostet 130€ die Stunde. Für meine nächste Brötchenkaufentscheidung habe ich mich wirklich luxuriös beraten lassen.

Ein Kollege ruft mich an. Er würde dieses Jahr als Weiterbildung gerne einen Kurs für die persönliche Resilienz belegen. Ich genehmige ihm das, ohne zu zögern.

Ich sehe zwei extravagant gekleidete Frauen vor meinem geistigen Auge. Beide tragen schöne verzierte Einkaufstaschen, wie nach einer Shopping-Tour.
“Na was hast du schönes gefunden?”, fragt die eine beim Latte Macchiato.
“Ach, ich habe eine Paar-Therapie aus echtem Cashmere und ein Resilienz-Training, besetzt mit Swarovski-Kristallen. Und du?”
“Oh, ich habe nur eine Familienaufstellung gefunden. Allerdings aus echtem Nappaleder.”

Die Supermarkt-Kassiererin kann sich diesen Luxus nicht leisten. In der Maslowschen Pyramide hängt sie bei den Sicherheitsbedürfnissen fest. Das heißt nicht, dass sie die Luxusprobleme nicht hat. Sie kann sich bloß den Luxus nicht leisten.

Sind Therapien Luxus? Vielleicht manchmal. Vielleicht sind sie aber auch ein Privileg. Ist Luxus überflüssig. Sicher manchmal.

Aber es gibt nur Probleme, keine Luxusprobleme.