Anti TikTok

Mein Sohn hat ein neues Hintergrundbild auf seinem Handy. Eine Influencerin, perfekte Wimpern, perfekte Lippen, perfektes Make-up. Er sagt, er hat sie mir schon einmal gezeigt, aber ich erkenne sie nicht wieder. Austauschbar.

Ich verlasse das Café und laufe durch Frankfurt. Vor einem Wand-Graffiti bleibe ich stehen, zücke mein Handy, mache ein Bild, stecke das Handy in die Tasche. Auf dem Bild ist eine Mutter mit Kleinkind zu sehen. Darüber prangt ein Slogan.

„There is something better than perfection“, hallt es in mir nach, als ich weiter gehe.

Frankfurt ist nicht perfekt, die Fassaden sehr gemischt. Lila Gasrohre, die in der Höhe über die Straßen gebaut sind, sind Farbtupfer, die es nicht besser machen.

Das hilflose Kleinkind ist nicht perfekt. Aber es hat einen fordernden Blick. Es fixiert die Mutter.

Diese Augen sagen, dass sie Erwartungen haben.

Zufrieden und erschöpft sieht die Mutter aus. Sie ist nicht perfekt.

Es fehlt jedes Styling, nicht für Instagram geeignet. Der nackte Körper ist nicht perfekt trainiert, die Stirn liegt in Falten, die Haare haben keinen Pep.

Zufrieden sieht sie aus.

Mutter und Kind tragen Gesichtsmasken, nach oben geschoben wie Hüte. Sie glänzen, goldbraun und perfekt. Die beiden haben sie nicht nötig.

Der Film auf der Hauswand läuft vor meinem geistigen Auge. Die Mutter atmet entspannt und gleichmäßig. Das Kind wird auf der Bauchdecke leicht  angehoben und senkt sich wieder.

Die Einheit ist perfekt. TikTok.