Der gebrochene Flügel des Marienkäfers

 

Mit der Gabel Muster auf dem Butterbrot zeichnen, Wellen, Spiralen, lange Linien.
Marienkäfer sammeln in Streichholzschachteln und Einmachgläsern.
Das beruhigende Rauschen der Stadt im Hintergrund.
Eine bestimmte Art die Treppe hoch zu springen ( und wieder runter).
Beim Einschlafen Fabelwesen besuchen, die tief in mir wohnen, wenn ich mich zusammenrolle,und Wunderwelten erschaffen.
Sprechende Tiere mit ausgeprägten Persönlichkeiten und Stimmen, die bei mir leben.
Und am Morgen ganz früh aufstehen um zu spielen. Nur zu spielen!

Meine geheimen Schätze: Eine tote Eintagsfliege mit grünem Körper und feinen langen Flügeln, in einer Schachtel aufbewahrt, wie einbalsamiert für die Ewigkeit.
Ein Zauberstein, türkis, geheimnisvoll, auf der Straße gefunden, wer weiß von wem.
Und drei, vier besonders schöne Glasmurmeln, die ich niemals tauschen würde. Ich fühle mich reich.

Ich drehe mich im Raum bis mir schwindlig wird und ich glaube zu fliegen.
Die Welt kommt ins Wanken und fließt an mir vorbei.Ich drehe mich zu und drehe mich wieder auf.
Leichtigkeit. Der Platz vor unserem Haus mit den alten Platanen.
Hinterhofgärten, Treppenhäuser mit alten Holztreppen und staubigen Fensterscheiben
durch die milchig das Sonnenlicht strömt. Ich rutsche auf dem breiten Treppengeländer nach unten, wenn es keiner sieht. Das Treppenhaus ist voller Geschichten und Gerüchen, das alte Holz der Treppe
knarrt und es riecht, wenn die Sonne darauf scheint an warmen Tagen.
Unter uns, eine Etage tiefer, wohnt meine Freundin Jasmina aus Jugoslawien. Manchmal dringt wunderbarer
Duft von frisch gebackenen Plätzchen durch die Tür, wenn sie backt.

Bei den Platanen, auf dem Platz vor unserem Haus, wo die Kinder zusammen spielen riecht es staubig
und nach Laub. Ich will raus, in die Straßen, umherstreifen. Wege finden. Geheimnisse lüften.

In meinem Lieblingsbuch lese ich über die Entstehung der Lebens im Ur-Meer.
Dieses Kapitel lese ich immer wieder:
Ein Ur-Gewitter mit Getöse und Donnerschlägen. Die Blitze schlagen auf dem dunklen Meer ein.
Die ersten Lebenskeime und Muster entstehen: so, wie auf einem schwarzen Blatt mit
Wachsmalkreide, wenn ich die Farben weg kratze und wische,
und dahinter plötzlich merkwürdige Farben und Muster zum Vorschein kommen. Dann kommen irgendwann die Dinosaurier und schließlich auch meine Schildkröte Gottfried.

Gottfried ist weise, er ruht in seinem Panzer Labyrinth und bringt mit Glück. Wenn ich ihn anschaue muss ich lächeln und bin sehr glücklich.
Gottfried kommt aus der Ur- Suppe. Er war schon lange da, und wird lange noch da sein. Er kennt die Ewigkeit. In seinem Haus bewahrt er das Wissen vom Überleben,und darüber wie alles entstanden ist.
Er gräbt sich im Winter in die Erde ein, er kennt alle ihre Geheimnisse. Im Frühling kommt er wieder raus.
Ich hoffe er wird den Winter überstehen. Denn der Winter ist arg. Viele Schildkröten überstehen ihn nicht. Ich bete für ihn.
Und auch für einen Jungen, der am Ende des Platzes wohnt.

An den Wochenenden fahren wir aus der Stadt mit dem neuen Auto, und verbringen Zeit in der Natur.
Es gibt einen Bach in einem kleinen Tal, wo wir auf einer Decke, picknicken, ich spiele am Bach.
Es ist warm, das Murmeln des Baches und das Summen der Insekten ist einschläfernd.
Blau schimmernde Vergissmeinnicht wachsen am Wasser, ganz zart. Moosbedeckte Steine.Ich stehe mit den Füßen im Schlamm.
Kleine Wellen reflektieren das Sonnenlicht. Im Schatten huscht eine Schar Kaulquappen
vorbei. Eine Wunderbare Welt voller Zartheit. Die Erwachsenen sehen sie nicht.

Es gibt Ferien. Endlos lange Ferien! Endlich. Ausschlafen dürfen. Es ist Sommer.
Im Schwimmbad gibt es Kaugummi mit Tattoo Bildern. Der Geschmack und die Bilder sind flüchtig. Ich spiele Lebensretter im Wasser. Alle Marienkäfer und Fliegen, Bienen und Wespen
werden gerettet. Sie zappeln verloren an der Wasseroberfläche und ich bringe sie an Land.Sie trocknen ihre Flügel mit ihren zarten Beinchen, heben ab und fliegen davon.
Ich höre sie dankbar lachen.
Dann bin ich wieder im Wasser, tauche in die Lichtwellen ein, bin leicht und Licht. Ich spiele, ich kann unter Wasser atmen.
Später auf der Decke trocknet die Sonne die Tropfen auf meiner Haut.
Es riecht so wunderbar nach Sommer!

Es gibt Orangen Limonade in kleinen dreieckigen Papptüten. Meine Finger kleben.
Sie riechen nach Orangen und nach versehentlich gequetschten Marienkäfern. Wie das riecht kann man schwer beschreiben.

Ich bin zum ersten Mal am Meer, es schimmert und glänzt wie ein besonderer Edelstein.
Nur, dass es endlos groß ist und man kann hineingehen und tauchen.
Und es birgt so viele kostbare Schätze: Muscheln in allen Formen, feuchte Steine in
schimmernden Farbtönen, Seesterne und Quallen, und sogar Wasserpflanzen, glibberig und eklig
anzufassen.Es ist groß. Es ist das Mächtigste und Schönste, das ich je gesehen habe.

Ich gehe barfuß durch den Sand, immer da wo die Wellen angerollt kommen.
Ich liebe dieses Rauschen der heranrollenden Wellen. Ihr Kommen und Gehen. Im Rhythmus.Ich laufe und laufe, und halte nur an, um kleine Kostbarkeiten aufzulesen,
die angespülte werden. Jede erzählt eine Geschichte, aus einer anderen Welt.
Ich bewahre sie auf, vielleicht kann ich sie später einmal erzählen.
Ich sehe an ihnen die Spuren des Ozeans.
Sie kommen aus diesem Wasser, dem Reich der Verwandlung. Man kann rein springen und
sich tragen lassen, treiben lassen, ganz leicht werden. Wie ein Vogel.
Es streichelt mich sanft, es wellt sich im Wind. Es gibt nach und ist doch so stark.
Es ist von Dauer und noch viel älter als meine Schildkröte.
Und ich kann mit ihm reden, wenn es keiner merkt.
Ich verspreche ihm beim Abschied, dass ich wiederkommen werde, dass ich es nie vergessen werde.
Ich nehme einen Eimer voller Meeressand, Muscheln und Steine mit als wir fahren.
Der Himmel, die Häuser und Menschen fliegen an uns vorbei, wir fahren zurück und hören Musik,es ist so schön die vorbei gleitende Landschaft zu sehen.
Wir sind wieder zuhause und es ist noch eine Woche Schulfrei.

Der Hund hat heimlich die Wurstplatte aufgefressen. Sie stand im Schlafzimmer auf dem Frisiertisch, dort ist es kühl.
Der Hund hat sich rein geschlichen, und dann war die Tür zu.
Als meine Eltern es entdecken, hat er sich unter dem großen Bett verkrochen. Ganz in der Mitte.
Sie versuchen ihn mit einem Besen raus zu treiben. Aber es klappt nicht.
Sie können ihn nicht bestrafen.
Der Abend ist versaut, die Gäste sind hungrig.
Ich finde es lustig. Ich gehe in mein Zimmer, ich lache, ich freue mich dass er nicht bestraft wird.
Dann hat der Hund auf den Teppich gekotzt und ist wieder unter dem Bett verschwunden,die ganze Nacht.
Es ist gut, ein sicheres Versteck zu haben.
Meines ist unter der Bettdecke. Da kommt keiner hin und sieht in meine Träume.
(Ilona, 27.2.21)