Es gibt immer weniger Tote durch Flugzeugabstürze

Laut statistischem Bundesamt gibt es immer weniger Tote durch Flugzeugabstürze. Die Menschen stürzen trotzdem ab. Aber nur noch mental.

Ob 31. Dezember oder 01. Januar, was ändert sich denn wirklich?

Irgendeiner der ersten Tage im neuen Jahr. Auf Twitter ein Gewitter.

Du siehst ein Bild eines Mannes mit Waschbärenmütze und Hörnern. Er hat auf dem Herz einen Valknut tätowiert, auf Deutsch auch Wotansknoten genannt. Kennt dieser Amerikaner dessen historischen Gebrauch? Wäre er gar gerne ein “im Kampf erschlagener Krieger”?

Was macht der Mann im Capitol? Wo ist Gott eigentlich gerade?

Erschossen wurde nicht der Krieger, sondern eine Frau aus San Diego. Eigentlich wäre sie jetzt in Kalifornien auf ihrem Schießstand und würde dort ein bisschen sinnlos rumballern. Wie oft haben wir im letzten Jahr eigentlich “eigentlich” gesagt? Eigentlich wäre ich jetzt im Urlaub an der Atlantikküste, eigentlich hätten wir heute Sommerfest, eigentlich wären wir jetzt gemeinsam auf dem Workshop.

Die Frau von der Pazifikküste wäre eigentlich jetzt noch am Leben. Sie war für ihren Genickschuss über viertausend Kilometer weit extra angereist. Ihre letzte Reise quer durch die USA führte sie quasi in den Tod. Frohes neues Jahr.

Twitter am nächsten Tag. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten warnt davor, dass der scheidende Präsident in seinen letzten Amtstagen noch ein Land mit Atomwaffen bombardieren könnte. Warum und welches Land überhaupt?

Was sollen sich denn Polit-Thriller-Autoren eigentlich in diesem neuen Jahr noch einfallen lassen, wenn solche Nachrichten die Realität sind? Niemand hat so viel Phantasie, um die Realität noch zu toppen. Und wenn die Autoren nicht mehr von Büchern leben können, können sie ja zurzeit nicht einmal Taxifahrer werden.

Twitter am gleichen Tag. Tausende von Accounts werden gesperrt. Ich vermisse keinen davon, war ihnen nicht gefolgt. Aber alle diese Menschen hatten öffentlich ihre Emotionen riskiert. Wo finden wir sie wieder, wo organisieren sie sich neu? Die sozialen Netzwerke reagieren wie Katzen oder Kleinkinder, die sich die Augen zuhalten und glauben, dadurch auch für alle anderen unsichtbar zu werden. Nach dem Motto: “Ich definiere, wer nicht da ist.”

Ich nehme mir vor, nichts zu kommentieren. Ich beobachte nur. 2021 werde ich Gesellschaftsbeobachter. Momentan erscheint die Welt allerdings wie ein Gemälde von Salvador Dalí. Sie zerfließt ein bisschen vor meinen Augen.

Mein neuer Beobachterstatus isoliert mich. Das ist aber positiv. Schaut her, ich stehe nur daneben. Ich gehöre gar nicht dazu, bin nicht Teil des Irrenhauses. Das sind die anderen. Ich mache mich ganz klein und verwandele mich in eine Ameise. Dazu rät ein persisches Sprichwort, das besagt, dann würden enge Wege wieder größer. Man muss nur aufpassen, nicht zertrampelt zu werden. Das hat das Sprichwort nicht verraten.

Ich habe große Erwartungen. Ich warte auf etwas, aber auf das neue Jahr habe ich nicht gewartet. Man kann den Kreis nicht verlassen. Der Wechsel der Jahreszahl ist keine Tür. Man kann nicht einfach aus dieser Welt austreten und in eine neue eintreten. Es ist, wie es ist.